Straßenaktion „Meinung sagen“

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… im Rahmen des Klimastreiks von FridaysForFuture auf dem Dortmunder Friedenplatz am 20. September 2019

 

1. Hintergrund

Welche Rolle kann der Dialogverein in der zurzeit wichtigsten gesellschaftlichen Debatte – dem Klimawandel – einnehmen? Diese Frage stellten wir uns, drei Mitglieder der AG Dialog in die Politik, Doris Stalp-Kotulla, Frank Schubert und Jens Kotulla. Kann es die Aufgabe des Dialogs sein, bei aller Sympathie die politische Haltung der Schüler*innen von FFF einseitig zu unterstützen? Oder geht es nicht viel mehr darum, Fragen zu stellen, die einen Dialog ermöglichen. Einen Dialog zwischen Menschen mit radikalen Forderungen zum Klimaschutz und den sog. Klimafolgenleugnern. Und ganz wesentlich: Wie können die Menschen erreicht werden, die sich in der Klimafrage zurückhalten, die vielleicht verunsichert sind und bisher keine klare Haltung einnehmen konnten oder wollten?

Diese Fragen führten uns zu einer Aktionsform, die von den früheren Blitz-Theater-Performences und heutigen Flashmobs inspiriert ist. Die wichtigsten Merkmale sind: Kurzfristig in der Öffentlichkeit auftauchen, mit Fragen oder provozierenden Thesen Aufmerksamkeit erregen, Debatten und im besten Fall Dialoge auslösen. Durch respektvolles Zuhören wollen wir auf diese Weise einen Raum öffnen, in dem Menschen ihre Gedanken entwickeln können. Um die Begrenzung der Redezeit zu symbolisieren, halten wir eine 5-Minuten-Sanduhr in der Hand. Diese dient als Notbremse für eskalierende Äußerungen.

Unsere Aufforderungs- und Fragenplakate haben wir individuell formuliert, auch um zu sehen, worauf die Menschen ansprechen.

Doris: „Bitte teilen Sie mir Ihre Gedanken zu diesem Thema mit – Meine Übung ist, Ihnen fünf Minuten lang zuzuhören“.

Ihre Frage: Was hilft?

Frank: „Schenken Sie mir 5 Minuten Ihrer Zeit! Ich bin neugierig und gespannt auf Ihre Ideen!“

Seine Frage: „Klimawandel: Entdecke Deine Möglichkeiten! Die da wären…“

Jens: „Sagen Sie mir Ihre Meinung. Ich höre Ihnen fünf Minuten lang zu.“

Seine Frage: „Wer trägt die Verantwortung?“

2. Begegnungen

Doris:

Es ergaben sich zwei Einzel-Dialoge, bei denen ich nur Zuhörerin war. Es waren Damen im Alter von Anfang 70. Interessanterweise berichteten beide, unabhängig voneinander aus ihrer persönlichen Biographie, die in der jungen Erwachsenenzeit mit politischem Engagement in der Friedens- und Anti-Atomkraftbewegung begonnen hat und ihre weitere Entwicklung mit ökologischem Bewusstsein.

Beide schilderten auch ihre Frustration, dass die eigenen Familienmitglieder ihnen in ihrem Denken und konsequenten Handeln nicht folgten, sondern sie eher dafür belächeln würden und die Erste meinte, da hilft wohl nur noch Beten. Sie waren froh über die Bewegung „Fridays for Future“ und die zweite Dame war besonders beindruckt von einem Plakat in der Menge mit der Aufschrift „weniger!“ und von unserer Aktion.

Mein persönliches Erleben bei der Aktion war, dass ich mich gut angenommen fühlte und eher positives Interesse der Umstehenden erlebte. Ich konnte gut zuhören, aber habe sicher öfter zustimmend genickt. Ich habe nicht auf die Gesprächszeit geachtet, sondern die Zeit zur Verfügung gestellt, die benötigt war. Im Anschluss habe ich mich bedankt und ich konnte kurz über das Anliegen des Dialogvereins berichten und Informationsmaterial wurde gerne angenommen.

Frank:

Kurz nach dem Aufbau unserer Aktion nähert sich eine ältere Frau und fragt mich, ob wir ein Gespräch führen können oder – wie auf dem Schild angedeutet – sie mir ihre Gedanken zum Klimawandel mitteilen kann. So erlebe ich an diesem Tag die erste von insgesamt fünf Begegnungen. Neben einigen Geschichten aus ihrem Alltag, schlug sie vor, sämtliches Brauchwasser, das im Haushalt anfällt (beim Zähneputzen, Abwaschen, Spülen, Waschen… für die Toilettenspülung zu sammeln und dann entsprechend zum zweiten Mal zu nutzen. Weiterhin schlug sie vor, Lebensmittel zu verbrauchen und sie nicht in den Müll zu werfen. Ihr dritter Vorschlag bezog sich auf eine radikale Reduzierung von Plastik im Alltag.

Ein junger Mann, der uns eine Zeit lang beobachtet hat, kommt, nachdem ich wieder allein stehe, schnell auf mich zu und verkündet mit dem Hinweis, er bräuchte keine 5 Minuten, seine Botschaft: „Macht einfach keine Kinder mehr!“ So schnell er sich mir zuwandte, verschwand er flink wieder n der Menge des Friedensplatzes.

Eine junge Frau, die erst mit einem Begleiter über uns spricht, dann auf uns hinweist, nähert sich dann langsam und fragt, ob sie wirklich erzählen darf, was ihr zum Klimawandel einfällt. Ich bejahe freundlich und lade sie ein, mir ihre Gedanken mitzuteilen. Für sie ist eine nachhaltige Lebensweise und verantwortungsbewusster Konsum Herzenssache, hier eine Reihe von Beispielen, wie bewusst sie sich klimafreundlich verhält: unseren Fußabdruck verkleinern; keine Wegwerfwindeln nutzen; den Kindern und Jugendlichen vorleben, was im Kleinen möglich ist; Bildungschancen für ALLE erweitern; im Alltag auf die kleinen „Sauereien“ reagieren (beispielsweise Raucher*innen, die ihre Kippen achtlos auf die Straße werfen, respektvoll und klar auf die Verwendung von Mülleimern und Aschenbechern hinweisen); täglich Wasser sparen, z.B. beim Zähneputzen das Selbiges nicht laufen lassen.

Fünf Jungs von der „Fridays for Future-Aktion“, mit denen Jens intensiver in Kontakt kamen, bedankten sich sehr freundlich bei uns für die Teilnahme an der Demo und unsere Aktion, was mich sehr berührte. In ihren Augen war deutlich die Begeisterung für gemeinsame Engagement zu sehen.

Eine Frau mittleren Alters sprach über die Wichtig- und Notwendigkeit einer anderen bewussteren Ernährung. Sie plädierte für eine vegetarische oder vegane Lebensweise und warb dafür, regionale Produkte zu kaufen. Für sie ist es sehr wichtig, Vorbild zu sein für nachfolgende Generationen.

Jens:

Ein älterer Herr erläuterte mir, dass die Reichen die größere Verantwortung hätten, mit ihrem Geld Sinnvolles zu tun. Er interessierte sich sehr für die Antworten auf unsere Fragen und nahm, um später den Bericht über die Aktion auf der Webseite zu lesen, einen Vereinsflyer mit.

Ein Frauenpaar begann, ausgelöst durch meine Frage nach der Verantwortung, kontrovers zu diskutieren. Dadurch, dass sie sich immer wieder an mich richteten und durch mein schweigendes Zuhören entstand ein entschleunigter Raum, in dem sie ohne sich zu unterbrechen, austauschen konnten. Zufrieden gingen sie weiter, ohne den Konflikt jetzt an Ort und Stelle gelöst zu haben.

Fünf Jungs, alle 16 Jahre alt, wie sich später herausstellt, kommen auf uns zu, stellen sich uns dreien gegenüber. Einer sagt: „Wir wollten uns nur bei Ihnen bedanken. Dafür, dass Sie da sind und für das, was Sie hier machen.“ Auf die Frage nach der Verantwortung antwortet einer: „Jeder Einzelne hat die Aufgabe, Gottes Schöpfung zu bewahren.“ Ein anderer widerspricht: „Wir alle sind verantwortlich, also auch die Wirtschaft und die Politik.“ Nach drei-vier Minuten, in denen sie mir gegenüber ihre Meinungen begründeten und sich untereinander austauschten, fragten sie nach meiner Ansicht. Ich sagte, dass je mehr Macht und Einfluss jemand hat, desto schwerer die Verantwortung wiegt. Mit nachdenklichen Blicken und auch einem Lächeln verabschiedeten sie sich, teilweise mit Handschlag.

Ich habe mich wohl gefühlt an unserer „Speakers Corner“ und die Neugier der Vorbeigehenden als angenehm empfunden. Die größte Herausforderung für mich war das neutrale Zuhören, der Erwartung des Gegenübers zu widerstehen, irgendeine Reaktion zu zeigen. Für die Zukunft will ich mich vorher noch besser einstimmen, um die vielfältigen Begegnungen aus einer ruhigen Mitte heraus wahrzunehmen.

3. Resümee

Alle unsere Fragen lösten Reaktionen aus. Die meisten fühlten sich wohl von Franks Einladung und der Frage nach den Möglichkeiten angesprochen.  ….

Begleitet sollten die künftigen Aktionen von Dialogerfahrenen, die sich bei Bedarf als Gesprächspartner anbieten. Dafür wäre ein etwas Abseits stehender kleiner Tisch mit zwei Stühlen hilfreich. Als Blickfang bieten sich die bewährten Fahnen des Dialogvereins und der Aufsteller mit der Einladung zum Dialog an. Infomaterial des Vereins sollte schnell zur Hand sein.

Denkbar ist auch ein – an die Aktion anschließender – spontaner Dialog unter freiem Himmel im Stehen, mit einer kleinen Lautsprecheranlage in der Mitte und einem Mikrofon als Gesprächsgegenstand.