Dialogprozess – warum ich mit anderen im Kreis sitze (Joachim Bessell)
Sobald ich Außenstehenden vom Dialogprozess berichte, stelle ich fest, wie schwer es ist, meine Begeisterung dafür mitzuteilen. Da sitzen zwanzig oder dreißig erwachsene Menschen in einem Stuhlkreis um eine gestaltete Mitte herum und, ja, was tun die dort eigentlich? Sie sitzen, denken nach, teilen das Eine oder Andere mit, gehen auf das Mitgeteilte ein, erzählen Neues ohne Bezug auf das Mitgeteilte, beschreiben Bilder und Vorstellungen, benennen Gefühle und manchmal zeigen sie diese auch. Dies geschieht alles recht gesittet, denn nur wer den Redestein, das Redeobjekt in Händen hält, berichtet. Alle anderen hören zu, sind bei dieser Person und begegnen dieser mit Zugewandtheit und Respekt, ja, sogar mit radikalem Respekt.
Warum tust du das, werde ich dann oft gefragt. Im Geiste vervollständige ich die Frage zu: „Warum tust du dir das an?“. Meist erzähle ich dann von meinen Eindrücken am Ende eines Dialogwochenendes. Ich spreche davon, erfüllt zu sein von der erlebten Vielfalt, der Vielfältigkeit der Beiträge, der sichtbar gewordenen Unterschiedlichkeit der anwesenden Personen, deren Blick auf „die“ Realität, die doch so unterschiedlich empfunden und wahrgenommen werden kann. Ich spreche davon, dass sich mir der Blick geweitet habe, dass es mir gelungen sei, aus meiner eigenen gedanklichen Enge heraus zu kommen. Ein Gefühl der Befreiung, der Entspannung und des Gelöstseins habe sich eingestellt am Ende. Befreit von Vorurteilen, entspannt durch die Gewissheit, dass nichts sein muss und gelöst von den Erwartungen und Vorannahmen, die mein tägliches Dasein begleiten.
Das erzähle ich und merke dann doch, es lässt sich nicht erzählen, was da im Dialog passiert. Wenn ich dann weiter mit Unverständnis konfrontiert werden, dann möchte ich sagen, das lässt sich nicht beschreiben, das muss man ausprobieren, erfahren. Oft sage ich es nicht, da ich niemanden missionieren möchte. Dialogprozesse zu führen und zu erfahren, ist für mich, als wenn ich durch einen Prozess des Einnordens und der Erdung geführt würde. All die Vorstellungen, das Gedankenkarussell, die fast wahnhaften Ideen von dem, was da Draußen ist, all das wird relativiert. Es kann so und auch anders sein, erfahre ich. Es kann sowohl so und auch anders sein. Beides, auch wenn es gegensätzlich ist, ist möglich. Deine Anschauung der Welt und meine möglicherweise konträr andere dürfen sein. Ich darf sein. Auch du.
Dies sind Erfahrungen, die ich manches Mal machen durfte in den vielen Dialogprozessen, die ich schon miterlebte. Vielleicht resultiert daraus mein Anspruch an solche Veranstaltungen. Lasst uns erleben, was uns unterscheidet und lasst uns erfahren, dass wir alle miteinander verbunden sind. Trotz aller Unterschiede. Lasst uns in einem geschützten Rahmen ausprobieren, was möglich ist. Wie es gelingt, sich zu zeigen in aller Verletztheit (oder Verletzlichkeit?), in allem Unverständnis, und auch in aller Wut und Traurigkeit. Kein Urteilen zwischen Richtig und Falsch. Die eigenen Vorurteile und Annahmen erkennen und für die Dauer des Dialogprozesses außer Kraft setzen. Das hat bei mir zur Auswirkung, was ich oben beschrieben habe, es entspannt mich, öffnet neue Möglichkeiten für meinen Blick auf die Welt und die Anderen.
Leider gibt es Dialogprozesse, die anders sind. Darin empfinde ich Unbehagen, fühle mich eingegrenzt durch ein unbestimmtes Gefühl einer „hidden agenda“. Allein schon die Aussage, man möge doch den Prozess im Auge behalten, diesen bei den eigenen Aussagen und Mitteilungen mitberücksichtigen, lässt mich aufhorchen. Nicht nur das, es macht mich misstrauisch. Ging es nicht darum, sich so zu zeigen, wie man gerade da ist, wie man sich im Moment fühlt, was man im Moment mitteilen möchte? Wie kann dies geschehen, wenn ein irgendwie gearteter Prozess seine Zustimmung verlangt? Damit befinde ich mich sofort wieder dort, wo ich herkomme: In der mir bekannten und mit Vorschriften oder Regeln versehenen Umwelt. Tu dies nicht, tu jenes nicht, sei so oder so. Dafür muss ich nicht an einem Dialogprozess teilhaben, das habe ich außerhalb desselben schon genug.
Was mir auch ab und zu auffällt, während ich im Dialog sitze und mich und die anderen beobachte, ist, dass gerne über etwas gesprochen wird, statt von sich. Da wird Bezug genommen auf etwas, was man gelesen hatte, auf etwas, was man gehört hatte und dann wird dies als Thema in den Raum getragen. Wo ist die berichtende Person derweil? Was geht in dieser vor, wenn sie berichtet, was hat sie dazu bewegt, eben diesen Teil der Wirklichkeit auszuwählen und den anderen vorzustellen? Es gibt sie nicht umsonst, die Kernfähigkeiten im Dialog. Die keine Regeln darstellen sollen, die als Leitlinie benützt werden können, um das eigene „Personal Mastery“ zu betreiben. Lass die Wurzeln dran, lautet eine. Warum sage ich jetzt, hier, was ich berichte? Es geschieht viel zu selten in meiner Erinnerung. Manchmal habe ich den Eindruck es geht mehr um die wohl gesetzte Sprache, um die Mitteilung dessen, was man glaubt zu wissen. Vielleicht wäre es nötig, solche Wahrnehmung zur Sprache zu bringen. Ganz im Sinne der anderen Kernfähigkeit, dem produktiven Plädieren. Warum sagst du dies, was du eben gesagt hast? Welche Annahmen, Bewertungen, Vorurteile und Beobachtungen leiten dich im Moment?
Ich möchte es gerne verstehen. Ich möchte erkennen, was dich umtreibt zu dieser oder einer anderen Äußerung. Ich möchte von dir lernen. Was auch heißt, über dich lernen.
Wenn ich mich dabei ertappe, dass mir dies nicht gelingt, dann frage ich mich, was mich wohl hindert. Warum frage ich nicht nach den Wurzeln? Warum teile ich nicht mit, dass mir etwas unverständlich ist? Warum teile ich meine Gereiztheit nicht mit, wenn ich mal wieder glaube einer Diskussionsrunde beizuwohnen? Fehlende Sicherheit? Keine Gewissheit, dass in diesem Kreis ausgesprochen werden darf, was sich zeigen will? Manchmal habe ich den Eindruck, wir spielen Dialog, weil wir die Spielregeln kennen und tun so, als erlebten wir einen Dialogprozess. Manchmal ist es wieder ganz anders und dieser soeben geäußerte Gedanke kommt mir gar nicht in den Sinn, weil es ein anderes Erleben gab. Ich vermute, dass dieses immer dann möglich wird, wenn wir aufhören uns zu verstellen. Wenn es uns gelingt, uns zu zeigen, so, wie wir im Moment da sind.
Auf dem Dialog-Forum in Hannover hatten Kerstin und ich einen generativen Dialog initiiert und begleitet. Am Ende gab es Applaus. Das machte mich sehr nachdenklich. Was müssen die Anwesenden bisher erlebt haben, dass sie jetzt glauben, den Dialogprozess so wie er stattfand mit Beifall zu versehen? Ich hatte dies noch nie erlebt und es beunruhigt mich weiterhin.
Lieber Joachim, hab vielen Dank für deinen Text zum Dialogprozess, wie du ihn siehst und erlebst. Ich finde mich in deinen Worten wieder. Der Dialogprozess ist wirklich schwer beschreibbar. Es gibt auch keine Garantie, dass er gelingt. Ich kann mich immer wieder nur öffnen und bereit und neugierig sein, was mir in der Runde klar wird, was ich neues erfahre. Freeman Dhority und Martina und Johannes Hartkemeyers haben es in ihrem ersten Buch zum Dialog schon passend ausgedrückt: „Gemeinsam Denken – Das Geheimnis des Dialogs“.
Ich war auf dem letzten Dialogforum nicht dabei, den Beifall, der dir und Kerstin engegenschlug würde ich allerdings als Dankeschön verbuchen, dafür, dass ihr die Initiative ergriffen und nicht abgewartet habt, was euch wohl geboten wird.
Ein gelungener Dialog ist für mich wie ein schönes Lagerfeuer, wo wir im Kreis zusammen sitzen und unsere Geschichten teilen! Ein Impuls wird entzündet oder zündelt von selbst, eine kleine Flamme ist zu sehen. Mit dem Gang zur Mitte und dem Aufnehmen des Redegegenstandes ist das für mich manchmal, als würde jemand oder manchmal auch ich selber ein Stückchen Holz auf die Flamme legen und sie wird größer, das Feuer bekommt mehr Kraft, wir spüren mehr Wärme. Für mich fühlt es sich manchmal so an, als würde mit jedem Scheit Holz, was auf das Feuer gelegt wird, auch bei mir plötzlich neues Holz da sein, als würde der Stapel neben meinem Stuhl wachsen… Über die Geschichten, die wir teilen, wird das Feuer genährt, werde ich manchmal gleichzeitig reicher an Holz, mit dem ich das gemeinsame Feuer weiter anheizen kann… .
Als alte Camperin gibt es für mich fast nichts Schöneres als ein richtig tolles Lagerfeuer im Kreis von Menschen, die sich darauf einlassen! Aber ich habe auch schon erlebt, dass ein Feuer nicht so gut brennt, dass zu nasses Holz aufgelegt wird, viel Rauch um nichts entsteht, anstatt von lodernden Flammen. Wenn wir als Gruppe gemeinsam richtig gut dafür sorgen, dass das Feuer schön brennen kann und dass jede*r die Möglichkeit hat, mit seinem Scheit Holz die Flammen stärker werden zu lassen und nicht nur eine*r aus der Gruppe allein alle seine Holzscheite auf einmal drauf wirft und fast das Feuer erstickt, dann kann das Feuer seine ganze Magie entfalten… Ich habe Vertrauen – die Gruppe wird es schon richten. Wir können uns Zeit lassen, ins Feuer schauen, genießen, was entsteht, die Wärme nicht nur vom Feuer ausgehend, sondern auch in uns selber spüren, jede*r für sich. Ich freue mich über jedes Stück Holz neben meinem Stuhl, was ich aufs Feuer werfen könnte und manchmal auch einfach mitnehme für spätere Feuer oder vielleicht um mir was schönes daraus zu schnitzen oder zu basteln! Ich freue mich über jedes Stück Holz was in den anderen entsteht, welches sie manchmal aufs Feuer legen und ich dabei zusehen kann, wie die Flamme sich entwickelt.
Und irgendwann ist es gut für den Moment, weil die Nacht auch ein Ende hat und ich kann jetzt in die Glut schauen, die noch so viel wohltuende Wärme abgibt und manchmal habe ich noch Musik in meinen Ohren, Gitarrenklänge, Gesang und Lachen, was durch die Nacht hallt und mich lange begleitet! Das sind die schönsten Nächte überhaupt!