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Obwohl Leipzig nur einen Steinwurf weit von meiner Heimatstadt entfernt liegt, habe ich doch jetzt erst mitbekommen, dass es da im Dezember eine bemerkenswerte Aktion unter dem Titel „The Citizen is Present“ gab: Durch gegenseitiges sich anschauen und sehen ins Hier und Jetzt kommen und damit ein bewusster, präsenter Teil des öffentlichen Raumes werden.

Das Format ist angelehnt an das Kunstprojekt The Artist is Present der Künstlerin Marina Abramovic aus dem Jahr 2010.

Habe Freude daran, wenn auf solch kreative Weise Gegenwärtigkeit, Begegnung und spontane Verbundenheit im öffentlichen Raum öfter mal zu ihrem Recht kommen!

André Gödecke

Im Rahmen meiner Tätigkeit als Prozessbegleiter war ich von 2018 bis 2019 für eine dialogische Gesprächsreihe mit Grundschullehrer*innen und Horterzieher*innen in meiner Heimatstadt Halle (Saale) engagiert. Sie alle waren irgendwie unzufrieden mit dem oftmals von Frust und Vorurteilen geprägten Verhältnis zwischen beiden Professionen – und den daraus resultierenden Reibungsverlusten in der Zusammenarbeit (bzw. Nicht-Zusammenarbeit). Sie wollten mehr voneinander hören und gemeinsam darüber nachdenken, wie Austausch und Kooperation künftig besser gelingen können.
Zu Beginn der Gesprächsreihe lud ich die Beteiligten dazu ein, in zwei Gruppen mithilfe verschiedener Materialien jeweils eine Insel zu erschaffen: eine Insel namens „Hort“ – gestaltet von den Erzieher*innen, sowie eine Insel namens „Schule“ – gestaltet von den Lehrer*innen. Besonderes Augenmerk lag dabei auf dem Schatz – denn schließlich ist so eine Insel viel interessanter, wenn dort irgendwo ein vergrabener Schatz schlummert.
Eine Phase emsigen Werkelns begann und ich wartete gespannt auf die Vorstellung der Ergebnisse:
Die Hort-Insel präsentierte sich bunt und vielfältig – Spiel und soziales Lernen hatten auf ihr ebenso einen festen Platz wie Kreativität und ein sehr weit gefasster Bildungsbegriff. Leider wurde die Idylle etwas getrübt durch allerlei schwierige institutionelle Rahmenbedingungen.
Die Schulinsel dagegen kam als ein auffallend schroffer Ort daher – geprägt von Personalmangel, Dauerbelastung und jeder Menge MÜSSEN. Eine dunkle Symbolfigur namens „Kultusminister“ thronte über all dem und bürdete den eh schon gestressten Pädagog*innen immer neue zusätzliche Aufgaben bürokratischer Natur auf.
Etwas beklommen fragte ich nach dem Verbleib des Schatzes – und erntete erstmal nachdenkliches Schweigen. Plötzlich jedoch huschte ein Lächeln über das Gesicht einer Schulleiterin:

„Der Schatz, das sind diese vertrauensvollen Gespräche zwischen Kindern und Lehrern, welche in der Regel außerhalb des Unterrichts stattfinden! Hier geht es um persönliche Themen, hier spielen Gefühle eine Rolle. Dabei agieren wir weniger aus unserer Lehrerrolle heraus, sondern begegnen uns eher von Mensch zu Mensch.“ „Hier“ – so die Frau wörtlich – „hat an der Schule die Menschlichkeit ihren Ort!“

Das Konzept „ALLE WETTER – Kreisgespräche mit Gruppen“ hat zum Ziel, jene Qualität, von der die Schulleiterin sprach, bewusst zu verwirklichen – und zwar im regulären Schulgeschehen bzw. „Unterrichtsbetrieb“, und nicht nur bei informellen, sich mehr oder weniger zufällig ergebenden Gelegenheiten. Schließlich verbringen – wenn nicht gerade mal wieder Lockdown ist – sowohl die Kinder und Jugendlichen als auch die Pädagog*innen einen großen Teil ihrer Lebenszeit in diesem Kasten namens Schule. Da sind die Qualität der Beziehungen, das Schulklima und das Miteinander in der Klasse von entscheidender Bedeutung fürs Wohlergehen und die persönliche Entwicklung.
Ich hoffe, dass nach Corona in unseren Schulen nicht nur das Aufholen versäumten Lernstoffes im Mittelpunkt steht, sondern einmal mehr auch Zeit für Gespräche, Zuhören und für die Aufarbeitung der zurückliegenden Monate eingeräumt wird! Ich hoffe, dass Pädagog*innen wenigstens erstmal innehalten und durchatmen, wenn von Ihnen verlangt wird, die im Lockdown erfolgte Beeinträchtigung kindlicher Lebensqualität durch Erhöhung des Lernpensums und Ausübung von Druck fortzusetzen.

ALLE WETTER vermittelt eine strukturierte Vorgehensweise, aber vor allem auch eine Haltung, die den Austausch persönlichen Erlebens, das achtsame Zuhören und vor allem das In-der-Schwebe-halten von Urteilen und Ratschlägen ermöglicht. Ebenso spielt das empathische Eingehen auf starke Emotionen, Vorwürfe usw. eine Rolle. Grundlagen bilden die dialogische Haltung (David Bohm, Martin Buber), die Gewaltfreie Kommunikation (Marshall Rosenberg) sowie indigene Traditionen der Verständigung im Kreis (Council).
Der Gesprächsansatz stärkt nach den bisher vorliegenden Erfahrungen auch jene Pädagog*innen und Führungskräfte, denen ein gleichwürdiges und wertschätzendes Miteinander am Herzen liegt. Sie bekommen ein Werkzeug an die Hand, mit dessen Hilfe sie in ihrem Wirkungsbereich erfolgreich einen echten Unterschied im Miteinander und im Umgang mit Konflikten bewirken können – das stärkt ihre Position, auch in einem oft eher traditionell-hierarchisch geprägten Umfeld.
Weitere Informationen zu ALLE WETTER findet ihr auf https://allewetter.org/